Umgang mit Stress und Ängsten

Viele Studierende empfinden vor oder während Examen oder in Konfliktsituationen Stress und/oder Ängste. Dieses Kapitel zeigt auf, wie man mit Stress und Ängsten umgehen kann.

Hintergrund

Die Studierenden der Autism&Uni-Umfrage listeten im universitären Kontext folgende Dinge als stressig auf: die Wahl des richtigen Themas für eine Gruppenarbeit, plötzliche Änderungen des Stundenplans oder der Anweisungen, Examen, mangelnde Unterstützung, laute Hörsäle, das Leben in einer Wohngemeinschaft, sensorische Probleme, schlechte Noten, pendeln, soziale Anpassung, der Versuch, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen, öffentliche Präsentationen und Konflikte.

Arbeiten mit einem weit entfernten Abgabetermin (z.B. Bachelorarbeiten) können besonders stressig sein. Solche Arbeiten stehen nämlich häufige mit Schwächen vieler Studierenden in Zusammenhang: z.B. Organisation und Planung, Prokrastination, Motivation und Vertrauen in die eigenen Entscheidungen. Folgend wird darauf eingegangen, wie Sie mit diesen Schwierigkeiten umgehen können.

Konfliktsituationen zwischen Studierenden können belastend und angstauslösend sein, insbesondere bei Studierenden auf dem Autismus-Spektrum. Für Konfliktsituationen gibt es sehr unterschiedliche Ursachen: z.B. mangelndes Bewusstsein für Autismus, als unhöflich oder asozial gelten, sich von jemandem verlassen fühlen, Verwirrung im Zusammenhang mit der sozialen Kommunikation erleben (Fehlinterpretation dessen, was jemand gesagt hat, insbesondere wenn es sarkastisch oder ironisch ist), Meinungsverschiedenheiten über die Hygiene in der Wohngemeinschaft haben, mit Kollegen zusammenarbeiten müssen, die nicht ausreichend zur Gruppenarbeit beitragen.

Was hat das mit mir zu tun?

Viele Studierende haben Probleme mit Stress. Da Menschen auf dem Autismus-Spektrum tendenziell höhere Angstwerte haben als andere, ist es wichtig zu wissen, wie man mit diesen Schwierigkeiten umgehen kann.

Das Erkennen von Stress ist bereits der erste Schritt zur Stressbewältigung. Wie äussert sich Stress bei Ihnen? Spüren Sie einen Druck in der Brust? Haben Sie schwitzige Hände oder Bauchschmerzen?

Die Hinweise auf Probleme zwischen Freunden oder unter Mitbewohnern können sehr subtil sein. Um diese Hinweise zu erkennen müssen nonverbaler Signale gelesen und dekodiert werden, was für Menschen auf dem Autismus-Spektrum schwierig sein kann und ggf. zu Verunsicherungen führt. Folgend ein Beispiel: Ihr Mitbewohner verlässt den Raum, wenn Sie ihn betreten, und hinterlässt auf einem Stapel schmutziger Teller z.B. eine ironische Bemerkung „Danke, dass du das Geschirr gespült hast!».

Was ist der nächste Schritt?

Probieren Sie einige der folgenden Vorschläge aus, um zu sehen, was für Sie am besten geeignet ist.

Praktische Tipps

Ihr Lebensrhythmus hat einen grossen Einfluss darauf, wie müde oder gestresst Sie sich fühlen, auch während der Prüfungszeit. Es ist hilfreich, auf sich selbst zu achten, gesund zu essen und zu trinken und allgemein einen gesunden Lebensstil zu pflegen (z. B. raus in die Sonne gehen, Sport treiben, sich und die Kleidung regelmässig waschen, ausreichend schlafen usw.).

  • Führen Sie einen möglichst gesunden Lebensrhythmus:
    • Schlafen Sie 6 bis 8 Stunden pro Nacht oder ruhen Sie sich aus, auch wenn Sie Schlafprobleme haben.
    • Nehmen Sie pro Tag mindestens eine richtige Mahlzeit mit Gemüse und Proteinen zu sich.
    • Nehmen Sie genügend Flüssigkeit zu sich.
    • Limitieren Sie Koffein, Teein und andere anregende Stoffe.
    • Bewegen Sie sich täglich und machen Sie regelmässig Sport um die Muskeln zu entspannen, überschüssiges Adrenalin zu verbrauchen und die Blutzirkulation zu verbessern.
  • Wählen Sie eine Technik zur Stressbewältigung
    • Übung für die Herzkohärenz
    • Meditation
    • Achtsamkeit

5 Minuten Herzkoheränz

  • Gehen Sie Aktivitäten nach, die Ihnen guttun:
    • Musik spielen oder hören
    • Kunst, Kunsthandwerk, Basteln, Zeichnen usw.
    • Lieblingsgetränke und -gerichte konsumieren
    • Sich für besondere Interessen Zeit nehmen
    • An einen beruhigenden Ort gehen (z.B. Bibliothek, Fitnessstudio, Schwimmbad, Studentenwohnheime, Wald oder Park, Lern- oder Computerräume, Cafés usw.)

 

  • Nutzen Sie den Kontakt zu Bezugspersonen:
    • Ein Mentor/ eine Mentorin, akademische Coaches oder das Autism&Unifr-Team
    • Ihr Psychologe/ Ihre Psychologin oder die psychologische Studierendenberatung
    • Freundinnen/Freunde der Clubs und Gesellschaften, denen Sie angehören
    • Freundinnen/Freunde ausserhalb der Universität
    • Ihre Familie
    • Das Büro für Studium und Behinderung
    • Freundinnen/Freunde von Online-Foren für autistische Studierende
  • Umgang mit Prüfungsstress:
    • Besuchen Sie den Prüfungsraum vor dem Prüfungstag
    • Planen Sie genügend Zeit für den Weg zu den Prüfungen ein
    • Führen Sie einige Sekunden lang eine Entspannungsübung aus, wenn Sie an Ihrem Platz sitzen. Drehen Sie erst danach das Prüfungsblatt um.
    • Setzen Sie sich bequem hin. Entspannen Sie dabei die Beine und Schultern.
    • Bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, sollten Sie sich die Anzahl der Fragen und die Verteilung der Punkte ansehen, falls angegeben. Sie wissen dann, wie viele Fragen Sie in der vorgegebenen Zeit beantworten müssen. Indem Sie die Zeit durch die Anzahl der Fragen teilen, können Sie herausfinden, wie viel Zeit Sie ungefähr für die Beantwortung einer Aufgabe investieren können. Nehmen Sie sich mehr Zeit für umfangreiche Aufgaben.
    • Wenn Sie sich durch Sinnesreize leicht ablenken lassen, tragen Sie Ohrenstöpsel. Wenn Sie sich vorher mit dem Büro für Studium und Behinderung in Verbindung setzen, wird es Ihnen möglicherweise gestattet, die Prüfung in einem separaten Raum abzulegen.
    • Nehmen Sie während der gesamten Prüfung genügend Flüssigkeit zu sich.
    • Atmen Sie am Ende jeder Aufgabe einige Sekunden lang ruhig durch.
    • Seien Sie pragmatisch, klar und prägnant in Ihren Antworten.
    • Gehen Sie anhand der berechneten Zeit zur nächsten Frage über, auch wenn Sie mit Ihrer Antwort noch nicht ganz zufrieden sind.
    • Wenn Sie Verbindungen zwischen mehreren Ideen herstellen, explizieren Sie diese Verbindungen.
    • Wenn Sie sich während einer Prüfung unwohl fühlen, fragen Sie die Aufsichtsperson, ob Sie den Raum kurz verlassen dürfen. Ein paar tiefe Atemzüge und ein Glas Wasser können ausreichen, um sich zu beruhigen.
    • Wenn Sie am Tag der Prüfung krank sind, informieren Sie das Sekretariat Ihrer Abteilung über Ihre Abwesenheit. Sie müssen dann einen Termin mit Ihrem Arzt vereinbaren, um ein ärztliches Attest zu erhalten. Andernfalls gilt Ihre Prüfung als nicht bestanden.
    • Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Sie nach der Prüfung Zweifel an Ihrer Leistung haben. Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, loben Sie sich für die geleistete Arbeit.
    • Wenn Sie eine gedruckte Arbeit abgeben müssen, stellen Sie sicher, dass Sie genügend Zeit einplanen, falls es z.B.  technische Probleme mit dem Drucker geben sollte.
    • Wenn Sie eine Präsentation halten, vergewissern Sie sich vorher, dass der Projektor funktioniert und Ihre Präsentation im richtigen Format ist. Stellen Sie zudem sicher, dass Sie die richtigen Stecker und Adapter haben, um Ihren Computer an den Projektor anzuschliessen.
  • Vermeiden Sie die Prokrastination
    • Das „freie Schreiben“ kann Blockaden lösen, auch wenn das, was Sie schreiben, sinnlos ist. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, z. B. täglich 10 Minuten lang zu schreiben. Dadurch werden Sie einen gewissen Automatismus erlangen.
    • Füllen Sie ein Word-Dokument mit Titeln, Untertiteln und Stichworten. Verwandeln Sie diese anschliessend in einzelne Sätze.
    • Die Motivation ist eng mit Selbstbestimmung verbunden. Nehmen Sie sich Zeit, um über Ihre Entscheidungen nachzudenken. Warum haben Sie sich für diesen Studiengang entschieden? Warum haben Sie dieses Thema für Ihre Arbeit gewählt? Die Gründe dafür sind wichtig, um über einen längeren Zeitraum an die eigenen Ideen zu glauben.
  • Umgang mit Konflikten mit anderen Studierenden:
    • Versuchen Sie nicht, Konflikte zu lösen, wenn Sie aufgeregt oder wütend sind.
    • Besprechen Sie die Situation mit einer Bezugsperson, die nicht in den Konflikt involviert ist.
    • Manchmal kann es hilfreich sein, die Probleme, die einen beunruhigen, aufzuschreiben. So kann man besser über diese Probleme und mögliche Lösungsansätze nachdenken.
    • Betrachten Sie die Situation aus der Perspektive der anderen Person. Gibt es einen guten Grund, warum sich die Person auf eine gewisse Art und Weise verhalten hat (auch wenn Sie sich daran stören)?
    • Sprechen Sie mit den beteiligten Personen. Bleiben Sie dabei bei den Fakten und erläutern Sie die Situation aus Ihrer Sicht (z. B. „Es stört mich, wenn das Geschirr nicht gereinigt wird, könnten wir einen Konsens finden, damit sich alle wohlfühlen?“).
    • Überlegen Sie sich, welche Lösungsansätze verfolgt werden könnten. Wie könnte das ideale Ergebnis nach einem Konflikt aussehen? Versuchen Sie herauszufinden, ob die Lösungsansätze und das damit verbundene Ergebnis auch für die andere Person gut ist.
  • Nachteilsausgleich: Wenn Sie glauben, dass sich die Autismus-Spektrum-Störung negativ auf Prüfungssituationen auswirkt, kontaktieren Sie das Büro für Studium und Behinderung. Die dort arbeitenden Personen werden Sie über verschiedene Angebote informieren und Ihnen helfen, geeignete Massnahmen zu koordinieren. Häufige Massnahmen sind: Erhalt zusätzliche Zeit für die Prüfungen, Verwendung eines Computers für die schriftliche Prüfung, Abhalten der Prüfung an einem ruhigen Ort. Diese Massnahmen werden in einem Plan für Prüfungsanpassungen bestätigt und an die zuständigen Personen gesendet, damit diese die notwendigen Vorkehrungen treffen können. Im Kapitel Nachteilsausgleich finden Sie hilfreiche Informationen zu diesen Massnahmen und deren ethischen Begründungen. Im Grundsatz müssen folgende Punkte abgearbeitet werden:
    • Lassen Sie sich von Ihrem Arzt ein ärztliches Attest ausstellen. In diesem Attest muss die Diagnose angegeben sein.
    • Wenn Sie bereits in der Sekundarschule einen Nachteilsausgleich erhalten haben, bereiten Sie eine Kopie der entsprechenden Entscheidung vor.
    • Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie einen Nachteilsausgleich benötigen, nehmen Sie mit dem Büro für Studium und Behinderung Kontakt auf. Das Büro für Studium und Behinderung wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um einen Antrag auf Ausgleichsmassnahmen zu erstellen.
    • Dieser Antrag wird an die zuständige Fakultät weitergeleitet.
    • Sie erhalten eine Antwort der Fakultät auf Ihren Antrag.

 

Fragen, die Sie sich stellen sollten

  • Was tun Sie zuhause gerne, um sich zu entspannen?
  • An wen können Sie sich wenden, wenn Sie sich unwohl fühlen?
  • Wo können Sie sich während der Vorlesungszeit aufhalten, wenn Sie sich gestresst fühlen?
  • Welche ist Ihre bevorzugte Entspannungsübung?
  • Welche sportliche Aktivität üben Sie am liebsten aus?
  • Wie sieht Ihre Routine aus, welche Sie vor Arbeitsbeginn durchführen?
  • Erinnern Sie sich an die Gründe für die getroffenen Entscheidungen?
  • Welche ist Ihre bevorzugte Methode, um Konflikte zu lösen?

Über den Autor

Nathalie Quartenoud ©

Übersetzt von Gina Nenninger